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Gast des Monats
Gabriella de’ Grandi
Italienischübersetzerin von Friedrich Glauser

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Gabriella de'Grandi wurde am 25. März 1953 in Reggio Emilia geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie hat in Bologna Moderne Sprachen und Literatur studiert und ist Deutsch-Italienisch-Übersetzerin. 2007 und 2008 leitete sie unter anderem den Workshop für literarische Übersetzung deutsch-italienisch am Literatur- und Übersetzungsfestival „Babel“ in Bellinzona. Sie hat vierzehn Werke von Friedrich Glauser sowie Texte von Cécile Ines Loos, Romano Guardini, Hugo Loetscher und Erich Fromm (mit Vanni Bianconi) übersetzt. Demnächst erscheinen Übersetzungen von Joseph Roth und Franz Kafka.

 

Gabriella de' Grandi

 

  Interview mit Gabriella de’ Grandi (von Yari Bernasconi)

 

Yari Bernasconi: Gabriella de' Grandi, Peter von Matt sagt: «Das Buch, Wachtmeister Studer , gehört heute zu den paar Fixpunkten, von denen aus die literarische Landschaft der Schweiz vermessen wird». Dann aber fragt er sich: «…gibt man Friedrich Glauser solchen Rang?». Wie denken Sie darüber?

Gabriella de' Grandi: Was die Vielfalt seiner Werke, die Schreibarten und die in Literatur übersetzten Themen des gelebten Lebens anbelangt, ist Friedrich Glauser zweifellos ein Autor von Rang, auch wenn sein aussergewöhnliches Leben es den Lesern vermutlich schwer gemacht hat, das Werk zu akzeptieren: dieses verzweifelte Leben, in das er vergeblich versucht hat, Ordnung zu bringen, irritierte. Für ein Land wie die Schweiz, die dazu tendiert, zu ordnen, zu kategorisieren, kann dies ein Problem sein. Dasselbe gilt auch für Robert Walser, der ebenfalls erst sehr spät entdeckt wurde. Im schweizerischen Kontext waren dies unbequeme Schriftsteller. Im Gegensatz dazu hatte Glauser, als seine ersten Werke in Italien in den 1980er Jahren herauskamen, augenblicklich grossen Erfolg. Eine deutsche Kollegin hat Glauser überhaupt erst in der italienischen Übersetzung entdeckt. Und ich glaube nicht, dass dies ein Einzelfall ist: Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass die Bekanntheit und der Erfolg des Autors in Italien auch in der Schweiz die Neugier für Glauser geweckt hat, wodurch eine vertiefte Auseinandersetzung und eine grössere Verbreitung seiner Texte möglich wurden.

In Ihrem Nachwort zu Gli occhi di mia madre sprechen Sie von «der Verunsicherung und Entwurzelung, der Glauser nie mehr entfliehen kann». Machen Sie mit dieser Feststellung Glauser nicht zu einem substanziell Heimatlosen ? Vergessen wir auch nicht, dass Glauser weder in der Schweiz geboren wird, noch hier gestorben ist...

Glauser ist Schweizer und gleichzeitig Nicht-Schweizer. Gewiss Nicht-Schweizer, was die Verwirrungen und das Chaos seines Lebens und die Flucht aus diesem Land anbelangt, auch wenn er dann in die Schweiz zurückkehrt, um wieder wegzugehen und immer wieder zurückzukehren. Den ungetrübtesten Teil seines Lebens, zwar nur einen kurzen, verlebt er nicht in der Schweiz, sondern in Italien. Ich glaube wirklich, dass Begriffe wie Drogen, Überdruss an der Arbeit, kein fester Wohnsitz Schwerpunkte sind, die in einer Gesellschaft wie der schweizerischen sehr schwer literarisch aufzugreifen sind.

Wenn Glauser, wie von Matt sagt, «den deutschen Kriminalroman von Rang mitbegründen soll», bedeutet dies vielleicht auch, dass man in seiner Zeit noch nicht bereit war für dieses “neue“ Genre...

Ich habe den Eindruck, dass Glauser auch in Italien dazu beigetragen hat, den Weg für ein Genre zu ebnen, das als von bescheidener Qualität galt, und dass er ihm ein zuvor nicht vorhandenes Ansehen verliehen hat. Viele sind ihm auf diesem Weg gefolgt: Eine ganze Blütezeit von qualitativ hochstehenden Krimis könnte man seinem Einfluss zurechnen. Es stimmt zwar, dass Wachtmeister Studer den Fall löst, aber er ist vor allem auch ein Mensch von grosser Menschlichkeit - jener Menschlichkeit, die Glauser selber ihm verleiht. Ich würde mich also nicht darauf beschränken, Glauser als Autor von Kriminalromanen zu betrachten. Glauser ist anders: Über die Katastrophen, das Unglück und die Exzesse hinaus ist er ein Mensch, der den Menschen versteht - und er kann ihn erzählen. Er hat eine ganz sensible, ganz klare Kenntnis der menschlichen Seele, die sich gewiss durch das Leiden noch verfeinert hat. Dies ist, wenn ich es recht bedenke, der Aspekt, den man in seinem Werk am meisten schätzt. Ich habe mich oft gefragt, wie es Glauser gelingt, soviel Scharfsinn und Bewusstsein der eigenen Berufung zum Schriftsteller mit dem Scheitern und der Entwurzelung zu vereinbaren...

Im Übrigen spricht Glauser selbst in der Erzählung Im Dunkel von der Unfähigkeit, Frieden zu finden: «Niemand wird wohl erklären können, warum die Angst plötzlich wächst und uns aussaugt in den stillen Stunden, da Sicherheit uns umgibt». Die atemberaubendste Passage in diesem Sinn ist jedoch jene, die Sie im Vorwort zu Outsider aufgenommen haben. Sie ist von geradezu dramatisch analytischer Präzision: "Die Zahl der Internierungen», schreibt Glauser, «der Entwöhnungskuren, der verschiedenen Katastrophen in meinem Leben, deren Dauer und Daten aufzuzählen, ist unwichtig. Notwendiger scheint es mir zu sein, kurz anzudeuten, was ich noch erhoffe. Ich glaube, dass ich die verschiedenen Erfahrungen, die ich in der Fremdenlegion, in Witzwil, als Arbeiter gesammelt habe, bis jetzt noch nicht richtig verwertet habe. Es würde sich darum handeln, diese Erkenntnisse (wenn es sich wirklich um solche handelt) mit einem Inhalt zu füllen, statt nur sachlich darüber zu berichten. Was ich bis jetzt geschrieben habe, halte ich für Übungen, mit zwei oder drei Ausnahmen. Es ist mir, auch wenn es mir ganz schlecht gegangen ist, immer gewesen, als hätte ich etwas zu sagen, etwas, was ausser mir keiner imstande wäre, auf diese Art zu sagen. Es ist gleichgültig, ob diese Überzeugung beweisbar ist oder nicht, ob sie in die Kategorie der Lebenslügen einzureihen – oder ob sie echt ist. Genug, sie war immer da, sogar, wenn auch sehr schwach, in den Perioden des Nihilismus. Was mir bis jetzt immer im Wege war, um auf diesem immerhin unsicheren Boden weiterzubauen, war meine Bequemlichkeit, mein Mangel an Disziplin".

Dies ist nicht das einzige Profil, das Glauser von sich selbst geschrieben hat. Es gab viele Internierungen, Glauser ist sich über seine Zustände völlig im Klaren. Er verdrängt nicht, er macht sich nichts vor - im Gegenteil, er sieht alles ganz deutlich. Die Kraft, hartnäckig eine Zukunft zu planen, zeigt auch den Willen, die Verzweiflung zu überwinden, zuversichtlich zu sein. Das Leben aber verrät ihn trotzdem und immer wieder. Es verspottet ihn andauernd, bis zuletzt.

Kritisch betrachtet aber könnte die Beziehung zwischen realer Biografie des Autors und dem eigenen Werk – schon rein methodisch – problematisch sein...

Ich denke, der Schriftsteller und sein Leben sind untrennbar miteinander verbunden, auch wenn das Werk sein Eigenleben führt und es kontraproduktiv oder zumindest nicht ohne Einfluss ist, das Leben des Autors zu kennen. Für Glauser ist die Trennung unmöglich: Er selber bringt seine eigene Existenz in die Bücher, er selber schenkt es uns direkt. Davon zeugt beispielsweise Gourrama .

Im Nachwort zu Gli occhi di mia madre , schreiben Sie, «in seiner verwüsteten Seele überlebt das Gedächtnis ganz intakt, Kompass seines Schreibens. Nichts ist verloren gegangen. Das Vergessen, das manchmal diejenigen rettet, die zuviel gelitten haben, löscht nicht einmal die am weitesten zurückliegenden Jahre aus. Glauser registriert das eigene Leben mit der Präzision und der Strenge eines äusserst scharfsichtigen Beobachters, der nie dem Selbstmitleid anheimfällt, sondern er führt jene, die ihm folgen wollen, aus den bedrückenden Zimmern von Häusern, die nicht ihm gehören, weiter zu den Gittern der Gefängnisse und Irrenhäusern, dunklen Bergwerken und rauchigen Hotelküchen, und mit seiner Schriftstellerhand hebt er den Schleier und entblösst eine grausame und unerträgliche Realität ». Das Selbstmitleid scheint mir ein weiterer wichtiger Punkt.

Glauser tendiert nie zu Selbstmitleid. Mit grosser Würde erzählt er über sich und sein Leiden. Der Schmerz, mit dem er gelebt hat, hätte ihn misstrauisch, vorsichtig werden lassen können; tatsächlich ist dies nicht geschehen. Selbst gegenüber den Ärzten, diesen Ärzten, die oft seine Gesprächspartner und Personen seiner Erzählungen sind, ist er nie feindselig. Er kennt keine Bitterkeit, Strenge oder Überheblichkeit gegenüber jenen, die ihn hätten verletzen oder ihm hätten Schaden zufügen können. Glauser ist ein Mensch, der den Menschen versteht.

Auch in Matto regiert beispielsweise, beweist Glauser Respekt für die Ärzte. Trotz der Hinterfragung des Sinns von Irrenhäusern, der Methoden der Psychiatrie, der Krankenpfleger, ist Studer tief beeinflusst vom Arzt Laduner...

Glauser hat zu wiederholten Malen seine Skepsis gegenüber der Psychiatrie ausgedrückt, und auch wenn sein Urteil gegenüber den Psychiatern sehr streng ist – er hält sie nicht für fähig zu verstehen – bleibt er doch immer massvoll und würdig.

Um den Kreis zu schliessen, unterbreite ich Ihnen einen weiteren Ausschnitt aus von Matt: «Studer muss die Wahrheit finden. Sie ist nicht nur die Wahrheit über ein einzelnes Verbrechen, sie ist mehr: die Wahrheit, die lautlose, gefährliche, verbotene Wahrheit über die Gesellschaft, über die massgeblichen Kreise der soliden bürgerlichen Schweiz mit ihren soliden Institutionen. [...] [...] Die Wahrheitssuche Studers führt weniger zu schlechten Menschen als zur wirtschaftlichen Misere, zur Krise um 1930 als dem alles bestimmenden Hintergrund. Dabei zeigt sich der charakteristische Machtaufbau der Schweiz, dicht verhäkelt von unten nach oben, ein zähes Geflecht von Repräsentanten und Einflussreichen, vom Gemeindepräsidenten an aufwärts zu den Parlamentariern, Bankräten, hohen Offizieren, oft genug in Kumulation der Ämter, mit vielfachen gegenseitigen Kollegialitäten und Verpflichtungen. Man hilft sich ohne grosse Worte, zuverlässig und unterderhand. Auf der Strecke aber bleiben im Konfliktfall die Kleinen: sie müssen herhalten, um die Angesehenen zu decken. Kein Schweizer Autor hat das je so genau, mit einer so leidenschaftlichen demokratischen Humanität diagnostiziert wie Glauser – auch Dürrenmatt nicht, der doch aus Glauser und Studer heraus seinen Kommissar Bärlach entwickelte». Wie denken Sie darüber?

Bei Glauser erfasse ich eher das Mit-Leiden mit den kleinen Leuten. In der letzten Erzählung von Gli occhi di mia madre beispielsweise erfasst man dieses Pathos für den einsamen Menschen, der nicht weiss, wie er sein Leben leben soll. Von Matt dagegen würde aus Glauser beinahe den Zeugen einer sozialen Anprangerung machen... Das wundert mich . Die Nähe zu jenen, die leiden, die Orientierungslosigkeit und die Unfähigkeit, daraus herauszukommen scheinen mir die Aspekte zu sein, die am deutlichsten auzumachen sind.

Vielleicht hat vonMatt einfach den Wunsch, Glauser eine feste, endgültige Rolle zu geben...

Glauser zu politisieren wäre verfehlt. Glauser will als Schriftsteller erkannt werden.

Eine letzte Frage bezüglich der Erfahrung als Übersetzerin Glausers: Welches sind die Besonderheiten seines Schreibens (und auch der Übersetzung) und die grösste Schwierigkeit, mit der Sie konfrontiert waren?

Meine letzte Erfahrung, Outsider , ist diesbezüglich symptomatisch: Wiederum musste ich Glausers Sprache Rechnung tragen, die auf den ersten Blick einfach erscheint, sich aber nur mit einer präzisen Überarbeitung übersetzen lässt. Auch für Gli occhi di mia madre waren sechs Fassungen nötig. Man könnte diese Sprache leicht verraten, denn sie ist in Syntax und Wortschatz nicht zu komplex, doch musikalisch sehr heikel, eine Zartheit, die es zu halten gilt: die «Blasen», von denen Glauser am Anfang von Im Dunkel spricht, könnten allzu leicht zerplatzen.

Von Yari Bernasconi
Übersetzung: Verena Latscha

 

Retrouvez également Gabriella de’ Grandi dans nos pages consacrées aux auteurs et traducteurs de Suisse

 

Page créée le 18.12.08
Dernière mise à jour le 18.12.08

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