Markus Werner
Am Hang. Roman. S. Fischer, Frankfurt 2004.

Presseschau

Der Erfolg von Markus Werners Roman "Am Hang" ist zweifellos verdient. Das Ausmass und vor allem die beinahe Einhelligkeit der Begeisterung für dieses Buch überrascht aber doch ein wenig.

Martin Ebel begann im "Tages Anzeiger" den Reigen Ende Juli mit seiner Lobrede auf "Am Hang": "Markus Werners neuer Roman ist wieder ein Wunder an Ökonomie, Sprachbewusstsein, Gestaltungskunst und Anspielungsreichtum (...). Wunderbar gelungen ist in ‚Am Hang' aber vor allem die Balance der beiden Helden, deren einen, den unbedarften, er in einem raffinierten Kunstgriff zum Ich-Erzähler macht - und damit zum Leser, am Schluss aber auch (das darf man verraten) zum Autor der Geschichte, die wir gerade gelesen haben."

Andreas Nentwich doppelte wenig später in der "Neue Zürcher Zeitung" nach, indem er das kulturkritische Potenzial herausstrich: "Wie sich klug halten gegenüber den Apologeten eines Zeitgeists, denen ethische, kulturelle und soziale Normen nicht viel mehr sind als Optionen auf dem pluralen Meinungsmarkt? Und: Gibt nicht die ‚rücksichtslos komplexe Wesensart der Welt' denen Recht, die fröhlichem Hedonismus das Wort reden und wahr und falsch, Kunst und Trash, Recht und Unrecht als blosse Funktionen gesellschaftlicher Vereinbarungen betrachten? Die Verteidigung der Poesie." Werner hat dies mustergültig getan.

Nicht minder begeistert zeigte sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Es gibt in diesem Roman keine Zeigefingerdidaktik, auch keine eindeutigen Meinungsbastionen. Die Verhältnisse sind viel zu widersprüchlich, die Figuren zu zerrissen, als daß man sich an schlichten Rezepten festhalten könnte. Getrieben von einem Verlangen, das sie nicht verstehen, verführt von einer Sehnsucht, deren Ursprung ihnen verschlossen bleibt, und hungrig nach einem ursprünglichen Glücksgefühl, sind Markus Werners Protagonisten alles andere als kaltblütig Agierende. Genau in der Darstellung dieses verborgenen Bruchs demonstriert sich die überlegene Meisterschaft des Autors."

In der Berliner "Tageszeitung" musste sich Oliver Pfohlmann zurückhalten, um "nicht die böse Pointe" dieses "Kabinettstücks" von einem Roman zu verraten. Aber er schaffte es und überschüttete den Autor mit Lob: Ein "Garant für Sucht erzeugende Prosa" sei er, seine Romane vor "Tragikomik, (Selbst-)Ironie" und Witz strotzend.

"'Am Hang' ist - man verzeihe den banalen, aber treffenden Ausdruck - wunderbare Literatur. (...) Am Ende will man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, beneidet alle, die das Lektürevergnügen noch vor sich haben", schrieb Julian Schütt in der "Weltwoche". Andreas Isenschmid pflichtete ihm in "Der Zeit" bei: "Es gibt Bücher, die man zweimal lesen will - das ist der Glücksfall. Und es gibt Bücher, die man zweimal lesen muss - das ist der Fall von Markus Werners Am Hang, dem siebten Roman des bald sechzigjährigen und von Buch zu Buch bislang nur immer virtuoseren Schweizer Erzählers." Allerdings, wie sich herausstellt, braucht es eine zweite Lektüre, um die Pointe "ex Post" zu zünden. "Aber die Abgründigkeit, der kalte Rückenschauder über dem dünnen Eis der Täuschung, auf den Werner gehofft haben mag, stellt sich nicht ein. Eher fühlt man sich in einer Scharade. Und es bleibt auch doppelsinniges Schwadronieren eben Schwadronieren."

Ganz so einhellig also ist das Urteil doch nicht - glücklicherweise.

 

En bref et en français

Virtuosité narrative, critique sociale pertinente et efficace sans lourdeur ni doigts levés, sens de l'auto-ironie et du tragicomique: la presse suisse et allemande a encensé Am Hang et l'interaction qu'il met en scène entre ou deux personnages aux personnalités fort différentes, préoccupés pourtant par des thèmes communs depuis deux points de vue différents eux aussi: en particulier le mariage et la fidélité. Les lecteurs ont suivi cet enthousiasme en achetant le livre en nombre.
Beat Mazenauer, tout en reconnaissant l'intérêt du livre, s'étonne de cette unanimité: Werner, selon lui nous avait habitués à mieux. Structure forcée, invraisemblances dans la relation qui se noue entre les protagonistes, voilà qui tranche avec les précédents romans de Werner. La conclusion ne parvient pas à réunir de façon convaincante les deux perspectives qui ont fait le livre jusque là, tout en le privant d'une ouverture et d'incertitudes porteuses.

(D'après la revue de presse et l'article de Beat Mazenauer ci-dessous)

 

Zwei Männer am Tisch erzählen sich von ihren Frauen. "Am Hang" heisst der neue Roman von Markus Werner. Ein Buch, das die Erwartungen nicht vollauf erfüllt.

Markus Werner: Am Hang. Roman. S. Fischer, Frankfurt 2004. 192 Seiten, Fr. 31.70.

Klärendes Gespräch am Hang

Auf der Terrasse des Hotels Bellevue in Montagnola sitzen sich zwei Männer gegenüber und kommen miteinander ins Gespräch. Auf der einen Seite Loos, eine skeptische Kraftnatur, ihm gegenüber Clarin, ein kontaktfreudiger Geck. Trotz ihrer widersprüchlichen Temperamente fühlen sie sich voneinander angezogen. Die Abgeschiedenheit des Ortes und ein guter Wein regen zu Erörterungen über Beziehungen, Liebschaften und den Ehestand an. Loos verarbeitet gerade eine traumatische Trennungserfahrung, der ihn an diesen Ort bindet. Clarin, der Ich-Erzähler, steuert eine Liebesaffäre mit der verheirateten Valerie bei, die vor einem Jahr exakt hier, bei einem Kaninchenfilet, ihr nüchternes Ende gefunden hat. Die Diskrepanz dieser Erfahrungen hält das Gespräch in Gang, obwohl Clarin eigentlich einen Aufsatz zum Thema Eherecht schreiben sollte. Loos aber fragt hartnäckig nach, verdüstert sich und erregt sich handkehrum wieder. Bitter-lustvoll inszeniert er Widersprüche, um am Ende den Luftibus um seine Bindungsfreiheit zu beneiden.

Je intimer die Aussprache der beiden wird - sie findet am nächsten Tag eine Fortsetzung -, umso mehr lässt sich erahnen, dass die beiden unterschiedlichen Liebesgeschichten eine gemeinsamen Kern haben: die beiden Männer als Betrogener und Betrüger womöglich Nebenbuhler gewesen sind.

Markus Werner führt in einer wunderbaren Eingangspassage gleich in medias res, um die Dringlichkeit dieser Begegnung anzudeuten: "Alles dreht sich. Und alles dreht sich um ihn" - Loos. Es geht um viel, doch worum exakt? Eine Antwort darauf gibt erst der Schluss, freilich in einer Weise, die nicht restlos befriedigt und der Erzählkunst, die Werner in frühern Büchern bewiesen hat, nicht gerecht wird.

"Am Hang" ist leider kein geglücktes Buch. Es erfüllt die hoch gesteckten Erwartungen nicht, weil in seiner Zufallskonstruktion zuviel Anstrengung steckt. Was bewegt vor allem Clarin, derart freimütig zu plaudern? Das Gespräch unter Männern wirkt in seiner Anlage nicht so recht glaubhaft und in Details mehr als nötig auch ungereimt. In überdeterminierter, mithin klischeehafter Weise dreht sich alles um den Kern des "Ehe-Elends", worin das Elend des Zeitgeists und gleich auch das Thema Tod mit einbegriffen sind. Aufgeplusterte Formulierungen täuschen zudem Dringlichkeit eher vor als dass sie sie erzählen. Vor allem Loos ergeht sich gerne in simplen Beschimpfungen der restlos verblödeten Welt, in denen der Roman jene kulturkritische Nüchternheit und erzählerische Souplesse vermissen lässt, die Werners frühere Texte so sehr auszeichnet.

Im Grunde aber scheitert "Am Hang" daran, dass die listige narrative Doppelperspektive sich am Ende nicht zum homogenen Bild fügt. Die Figur des betrogenen Ehemanns Loos und die Figur des Gesprächspartners Loos kommen nicht wirklich zur Deckung. Valeries Ehemann, so wie er in Clarins Erzählung über die Beziehung zu Valerie auftaucht, ist ein allzu anderer als der, der vor ihm sitzt. Zudem ist der versöhnliche, auch hilflose Schluss - für Markus Werner ungewöhnlich - mit einer zufälligen Schlüssigkeit aufgeladen, die eher befremdlich wirkt und der Erzählung das Schwebende, Verheimlichte raubt. Davon: tückisches Ergebnis des Reissbrettcharakters dieses Romans, werden letztlich auch die teils raffiniert inszenierten Gesprächspassagen beeinträchtigt.

Derart hinterlässt "Am Hang" einen ambivalenten Eindruck. Es ist, als ob im Endeffekt nicht der Luftibus Clarin die Hoheit über den Text behält, sondern die Kraftnatur Loos. Seine mal bärbeissige, mal pathetisch unverhüllte Gedankenschwere drückt ihm ihren belastenden Stempel auf.

Beat Mazenauer

Markus Werner: Am Hang. Roman. S. Fischer, Frankfurt 2004. 192 Seiten, Fr. 31.70.