| In seinem neuen Roman macht sich Martin R. Dean auf die 
                      Suche nach seiner doppelten Heimat: nach seinen zwei Vätern. 
                      Die Reise führt in die Schweizer Provinz und von da 
                      nach Trinidad. Wohin aber gehört der Suchende?  Von den Nöten des Patriarchats Nur die Mutter ist sicher. An dieser Gewissheit laborieren 
                      die Männer seit Menschengedenken. Kaum auszuhalten 
                      ist daher das Dilemma, wenn einer wie Robert in Martin R. 
                      Deans neuem Roman zwei Väter hat. Zwei Väter aber 
                      ist einer zuviel. Schmerzhaft ist dies für den Ich-Erzähler 
                      Robert vor allem, weil er nur den falschen zu kennen glaubt. 
                      Sein leiblicher Erzeuger hat sich frühzeitig aus dem 
                      Staub gemacht. Diesen Vatermangel mit all seinen 
                      hypochondrischen Nebenwirkungen will der mittlerweile 40-Jährige 
                      endlich beheben.  Die Differenz zwischen Neil und Ray ist im Grunde nicht 
                      gross. Beide sind sie indischer Abstammung und kommen aus 
                      Trinidad, wobei sich Neil mit seiner Schweizer Frau, Roberts 
                      Mutter, im Aargauer Wynental akklimatisiert hat. Wo aber, 
                      wer überhaupt ist Ray?  Sein Fehlen wird evident in dem Moment, wo Robert selbst 
                      Vater wird, wo er also Gewissheit haben möchte, dass 
                      sein Kind ihn als Erzeuger liebt und anerkennt. Diese Empfindung 
                      macht ihm schmerzhaft bewusst, dass er selbst diese Liebe 
                      und Anerkennung nie hat geben können.  So begibt er sich auf die Suche nach seinen schönen 
                      Illusionen. Er stellt sich einen flanierenden Londoner Gentleman 
                      vor, oder einen karibischen Grandseigneur, der die Grenzen 
                      seines Grundbesitzes abschreitet. Natürlich sieht es 
                      tatsächlich anders aus. Robert findet seinen Vater 
                      in einem Londoner Altenasyl: einen gebrechlichen Mann, dem 
                      es die Sprache und damit die Erinnerung verschlagen hat. 
                     Verschwiegen und verstummt kann ihm dieser Ray Randeen 
                      kaum weiterhelfen. Dennoch lässt sich Robert auf seiner 
                      ungeduldigen Suche nicht aufhalten. Er glaubt fest an die 
                      heilende Kraft der Vaterschaft: Jeder Vater gibt die 
                      Wortmöglichkeit, die Wortmächtigkeit an seinen 
                      Sohn weiter. Die Mütter kommen in diesem System 
                      nicht vor, umso leibhaftiger bestimmen sie die Wirklichkeit. Zärtlich besorgt fährt Robert mit Ray heim 
                      nach Trinidad. Ob er hier die Wahrheit erfährt, bleibt 
                      unsicher, denn in der tropischen Bruthitze verfliessen alle 
                      Grenzen, gibt es keine gefestigten Identitäten mehr. 
                      In diesem rhetorisch eloquenten zweiten Teil von Martin 
                      R. Deans Roman verdichtet sich das lückenhafte Vaterbild. 
                     Alles scheint in Trinidad permanent in Aufruhr begriffen, 
                      wofür das Karnevalstreiben bildhaft steht. Mitten drin 
                      im Trubel verliert Robert zwischen Bier und Kotzen auch 
                      die letzte Illusion. Die idealisierte Vater-Projektion verwittert, 
                      je mehr Informationen über seinen Erzeuger auf ihn 
                      hereinprasseln.  Martin R. Deans gross angelegter Roman präsentiert 
                      sich im Endeffekt nicht ganz einheitlich durchgeknetet. 
                      Zwischen die erste, eindrückliche Begegnung in London 
                      und die hitzige Aufregung in Trinidad schiebt sich eine 
                      Schweizer Reise, mit einer faden Liebesgeschichte in einer 
                      Engadiner Hotelkulisse, die nicht recht zu Leben erwacht. 
                      Ansätze zu einem Plot verpuffen gleich wieder, und 
                      die Geliebte, Vaters Nurse aus dem Altenasyl, wird nach 
                      Indien verabschiedet. In dieser Schweizer Episode zeichnen 
                      sich Schwächen in der Dramaturgie und Personenzeichnung 
                      ab.  Es mutet ironisch an, dass ausgerechnet sie so kraftlos, 
                      steif ausfällt, wogegen Dean in den anschliessenden 
                      tropischen Passagen zu stilistischer Brillanz und kompositorischer 
                      Präzision findet, mag die eine oder andere Begebenheit 
                      auch etwas allzu üppig ausgemalt sein. Daheim 
                      angekommen setzt sich Robert eine mögliche Vatergeschichte 
                      zusammen, die er aus einem fiebrigen Malstrom aus hoffnungsloser 
                      Ausschweifung, politischer Ranküne und tristem Alltag 
                      heraus zieht.  Meine Väter erzählt ebenso sinnlich 
                      wie differenziert von der Suche nach einer festen Identität, 
                      die es gar nicht mehr geben kann. Das patriarchale System 
                      versucht diese Illusion mit aller Macht aufrecht zu erhalten, 
                      doch allein die Mutter ist gewiss. Am Ende muss Robert erkennen, 
                      dass er aller Sehnsucht zum Trotz sein karibisches Zuhause 
                      weder körperlich noch kulinarisch verträgt, also 
                      längst ein (etwas eigenartiger) Schweizer geworden 
                      ist. Ich bin ich lautet bündig das Fazit, 
                      zu der Robert am Ende gelangt. Ich bin ich und meine Freunde 
                      sind meine Familie.  Martin R. Dean: Meine Väter. 
                      Roman. Hanser Verlag, München 2003. 440 Seiten, Fr. 
                      42.80.
 Beat Mazenauer
 
 Page créée le: 24.04.03Dernière mise à jour le 24.04.03
 
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