Nach Dramen und Romanen erscheint von Matthias Zschokke dieses Frühjahr ein zauberhafter Geschichtenband. 29 Erzählungen und Kolumnen umfasst er, Beobachtungen eines Flaneurs durch die Randbezirke Berlins.

Von Freunden, mit Bedacht gewählt
Erzählungen und Kolumnen von Matthias Zschokke

Wahre Freunde hat man nicht viele, und die wenigen gleichen einem selbst in verräterischer Weise. Deshalb gilt es, sie mit Bedacht zu wählen und ebenso zu behandeln. Dies letztere kann manchmal auch bedeuten, einen lange vermissten Freund abzuwimmeln, bevor er besuchsweise Zeuge wird, wie die Zeit an einem Spuren hinterlassen hat.

Auch davon handeln die Texte von Matthias Zschokke. Es sind Geschichten, die das Leben schrieb, auch wenn dem Zschokke entgegen hält: “Aber das Leben kann nicht schreiben, es wetzt bloss ab". Dennoch, schriebe das Leben, wie es der Volksmund erzählt, so täte es dies vielleicht wie er. Zschokkes Geschichten nehmen abstruse Wendungen und verlieren sich gerne im alltäglichen Warten und Dasitzen. Anstatt ihnen ein falsches Ende zuzufügen, verlegen sie sich lieber darauf, kleine Wunder zu erproben und wirkliche Beiläufigkeiten auszumalen. Der Autor erweist sich dabei gerne als Wohltäter, der allen seinen Figuren eine kleine Portion Glück andichtet, wo sie es weder erwarten noch benötigen. Aber er vermag auch nicht zu verhindern, dass die Zeit vergeht und vom altersgeplagten Körper ein feiner Duft von Moder, von Vergeblichkeit ausgeht.

Das Leben vergeht und Matthias Zschokke hält es mit distanzierter, aber stets naiv-gelassener Freundlichkeit fest. Nie verrät er seine literarischen Freunde, höchstens deren Streben nach einer richtigen schönen Lebensgeschichte. Solche gibt es nicht, und wenn, dann sprengt sie der Erzähler mit Unschuldsmiene ins Leere. Der Erzähler Zschokke ist ein hinterlistiger Verfremdungskünstler.

Die Geschichte “Das Cello" bricht er, wo es spannend wird, lakonisch mit “Fortsetzung folgt" ab (was natürlich nie geschieht). Und den Lebensplan von Balz akzeptiert er nur vordergründig. Mit 22 will der seine Existenz auf dreissig Jahre hinaus exakt planen, Frau und Kinder inklusive. Der Autor treibt ihm erst nach Ablauf dieser Frist jegliche Illusionen aus. “Viele Menschen meines Schlags verstehen mit so einer Geschichte nichts anzufangen". Was damit bewiesen wäre.

So boshaft ist er indes nur selten. Meist ist er, der auch seinen gusseisernen Ofen zu den Freunden zählt, allen ein guter Freund. Er reibt ihnen Balsam auf die Wunde der Sinnlosigkeit und lehrt sie den Trost der heiteren, gelassenen Melancholie. “Aber wenn alles Sinn hat, wie fad."

Matthias Zschokke gibt sich in seinen Geschichten als echter Flaneur zu falscher Zeit aus, ein “wahrer Desillusionist", der sich an die Sprache hält. Robert Walser ist einer, den er gerne mag, weil Walser nie versucht, seinem Leser zu gefallen, “sondern einzig und allein darum ringt, vor sich selbst zu bestehen, sich selbst zu genügen".

Schwebendes Verfahren

Dies fordert Zschokke auch vom Dichter, vom Künstler. Dawss sie in “sogenannt historischen Momenten" zu brisanten Fragen gerne angerufen werden, empfindet er als üble Mode. Sie erlaubt zwar einen wohlfeilen Verdienst - meist mehr als mit Literatur zu verdienen sei - doch bleibe es meist bei gefallsüchtiger Plapperei. Dem hält er lieber ein launiges Aperçu über die “Lederträne" entgegen oder die Striemen, die zum Beispiel der Fahrradreifen beim Wendemanöver an der Wand im Hausgang hinterlässt. Solch unbescholtene Hinterlassenschaft scheint ihm eher von Dauer als selbst die Totalsanierung Berlins zu einer Hauptstadt, die doch nur ewige Vorstadt bleibe.

Die Kolumnen und kurzen Essays in diesem Band teilen die ironische Launenhaftigkeit der schrulligen Erzählungen. Sie plädieren mit leiser Vehemenz für das Unscheinbare, die Miniatur am Rande. “Kunst ist das andere" lautet der heimliche Leitsatz. Zschokke fragt besorgt, “ob Alltag nicht geschützt werden muss vor dem Zugriff der gleichmachenden Kultur-Inflation".

Der Dichter als Aussenseiter. Dies mag zuweilen etwas gar eskapistisch klingen, doch steckt gerade darin eine leise Provokation, ein Moment des Widerständigen. Zschokkes Prosa ist in ihrer Gesamtheit ein schwebendes Verfahren, eine sorgsam gesetzte Schreibweise, die bewusst mit dem naiven Blick des reinen Toren spielt. Seine Helden üben sich in Illusionslosigkeit und im Gespür für den seltenen Glücksmoment. Klischees sind bei ihm Spielfiguren.

“Das Glück ist nicht leicht in Worte zu fassen, doch ich habe den Eindruck, es sei mir hiermit gelungen", steht am Ende. Dagegen ist hier nichts einzuwenden.

Matthias Zschokke: Ein neuer Nachbar. Ammann Verlag, Zürich 2002. 218 Seiten.

Beat Mazenauer

 

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