Peter Weber: "Silber und Salbader"
Molltöne aus dem Molton der Molasse

Sechs Jahre hat es gedauert, bis Peter Weber den Erfolg seines Erstlings bestätigt. Eine lange Zeit, die Gerüchte und Gerede ins Kraut schiessen liessen. Nun liegt "Silber und Salbader" vor. Ein Sieg der Literatur.

Webers artistischer "Wettermacher" ist nicht vergessen gegangen. Mentalität und Kolorit des Toggenburgs bilden abermals eine stotzig grindige Kulisse, doch sind sie nicht mehr zweifelsfrei greifbar.

Im Raschtal, woher Wendelin Selb, genannt Silber, kommt und wohin es ihn wegen Pina zieht, amalgamieren Fiktion und Wirklichkeit zu einer fantastisch realen Landschaft.

Lust- und Heilbaden

"Silber und Salbader" eröffnet mit einer kniffligen Behauptung: "das falsche Leben ist das Gegenteil vom richtigen Leben" - und umgekehrt. Worin freilich sich das eine, das andere beweist, darüber schweigt sich der Ich-Erzähler aus. Einzig ein Zeichen vermag er zu geben: die Lust. Lebenslust und Seelenheil leben im erquickenden Quellwasser auf.

Um das Lust- und Heilbaden dreht sich denn auch vieles in diesem Buch. Als Quellwirt oder -wart taugt Silber nicht, dafür hat er ein feines Sensorium fürs wispernde, wabernde, wogende Tönen im irdenen Untergrund. Und dazu eine Sprache, die er salbaderisch zum Klingen bringt. Als er im Hotel Rose zu Baden den neuen Quellmund entpfropft, singt es ihm aus der Ursuppe entgegen.

Literarischer Klangkörper

Vor allem im ersten Teil liest sich "Silber und Salbader" hinreissend wie ein Klangkörper aus Sprache. Da funkeln und gleissen und blitzen die rhetorischen Blüten, einem Sternteppich gleich, der am dunklen Firmament ein Glitzerfest inszeniert. "Das Schönreden ist eine wichtige Remedur. Es produziert Atem".

Peter Weber hat seine Sprache in den letzten Jahren nicht verloren, ja er legt zu Beginn des neuen Romans an musikalischer Virtuosität noch zu.

Dass ob der isolierenden Wollust die Erzähldramaturgie in den Hintergrund rückt, ist nicht zu beklagen. Der maultrommelnde, klavierspielende Silber entfliegt mit der Bratschistin Pina zum wunderbaren Duett in Moll.

Eine Quelle entspringt

Das sprachliche Feuerwerk, das manchmal an Jean Paul, auch an expressionistische Prosa erinnert, verglimmt allerdings ein wenig, wie der Erzähler in Rückblenden sich aus dem gleiss-klingenden Limmattal aufmacht ans andere Ende seiner Welt, zu den Wurzeln der karstigen Gebirge, die das Toggenburg respektive Raschtal einrahmen. Auf der Elisalp hofft er, Pina zu treffen, mit ihr findet er hier den Urquell der "Badener Heilhaube".

Die Zugfahrt, Webers verkehrstechnische Verliebtheit, kommt dal ausgiebig zu Ehren. Vom ruckelnden Zug aus lässt sich sein Erzähler zu allerlei Anekdoten und Einfällen verführen.

Die schrägen Figuren aus der Familiengeschichte erhalten quirlige Auftritte, und ebenso die Talschaft, in der vor Jahrhunderten der Mönch Ruscellus seine Dreisäftelehre entdeckte und seither allerhand Heilsames sich in den Köpfen der Einheimischen umtreibt.

Quetsche, Quirl und Quassel

Auch im Raschtal klingen insgeheim die Elemente und Geistwesen, die Menschen Lautmalereien lehrend wie Quetsche, Quirl und Quassel. Doch die alten Zeiten sind verflossen, das landschaftliche Idiom, das Räss, durch Zuwanderung und Konjunktur abgeschliffen. Unwillkürlich lässt es Weber seinen Roman spüren. Der sprudelnde Sprachquell versiegt in diesem zweiten Teil stellenweise.

Ein paar Beschreibungen geraten allzu ausführlich, ein paar Anekdoten wirken am Ende verloren in der musikalischen Textur. Ein rundum geglücktes Buch kann "Silber und Salbader" deshalb nicht genannt werden, aber eines, das mit frischem Charme und Experimentierfreude den genuinen Sprachkünstler verrät.

Aus allen Ritzen dampft und blubbert es in seinem Klangbad. Das Warten darauf hat sich gelohnt.

Notiz: Peter Weber: Silber und Salbader. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a/M 1999. 298 Seiten, 37 Franken.

Besprechung von Beat Mazenauer, SFD

 

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