Otto F. Walter war einer der schillerndsten und prägendsten Autoren seiner Generation, die unter dem stichwort "Jura-Südfuss-Literatur" in die Schweizer Literaturgeschcihte eingegangen ist. Ein politisch engagierter Kopf, der auch als Verleger stilbildend wirkte.

Schreiben im öffentlichen Raum

Otto F. Walters Lebenswerk erschliesst sich nicht auf den ersten Blick. Das literarische Schaffen widerspiegelt seine Bedeutung nur unzureichend. Immer wieder hat sich der Schriftsteller und Verleger Walter auch in aktuelle Diskussionen eingemischt. Er suchte den öffentlichen Raum als Partner.

Der helvetischen Öffentlichkeit ist Otto F. Walter hautpsächlich durch seine gesellschaftspolitische Resonanz bekannt geworden. Demgegenüber nimmt sich die Liste seiner Publikationen eher bescheiden aus: einige Erzählungen, 7 grössere Prosawerke, zwei Dramen und etliche Essays zur Literatur. Nicht viel für 35 Jahre schriftstellerischer Tätigkeit.

Widerstand als Haltung

Vor allem unter dem Eindruck der 68er Bewegung hat sich Walter pointiert zu Wort gemeldet. Für die Sozialdemokratische Partei erarbeitete er einen Programmentwurf über die Selbstverwaltung. Er sprach auf Anti-AKW-Demonstrationen in Gösgen oder in Zürich 1980, und er entwarf die Charta 86 der "Bewegung für eine offene, demokratische und solidarische Schweiz" (BODS). Beharrlich versuchte er zu ergründen, was unsere Gesellschaft erreicht und was sie noch zu erhoffen hat. Er fragte nach alternativen Lebensformen, kritisierte den technologischen Wahnsinn und die Hierarchie der Geschlechter. "Zeitgenossenschaft" heisst das Wort, das er selbst wiederholt für diesen öffentlichen Teil seines Engagements verwendet hat. Zeitgenossenschaft, Erinnerung und Utopie, davon ist auch sein literarisches Werk in unterschiedlicher Weise durchdrungen.

Gesellschaftspolitische Sensibilität

Auf den letzten Seiten seines Romans "Die ersten Unruhen" (1972) findet sich der Satz: "Die Beschwörung eines äusseren Feindes, aber ebenso auch die Erfindung eines solchen stärkt den sozialen Zusammenhalt, der von innen bedroht ist." Dies hat Otto F. Walter vor 25 Jahren geschrieben - doch der Satz liest sich heute wie eine prophetische Vorwegnahme aktueller Ereignisse. Zugleich bedeutet er die gesellschaftspolitische Sensibilität, die Walters Werk von Anfang an ausgezeichnet hat.

Schon die psychologischen Studien "Der Stumme" und "Herr Tourel", mit denen Walter auf Anhieb überraschte, deuten fein Züge sozialer Entfremdung an. Um die Suche nach alternativen, modernen Lebensformen erweitert, kehrt das Thema wieder in dem experimentellen Montagebuch "Die ersten Unruhen" und vor allem in den Romanen "Die Verwilderung" (1977), "Wie wird Beton zu Gras" (1979), "Das Staunen der Schlafwandler am Ende der Nacht" (1983).

Die Suche nach einer modernen Form

Leidenschaftlich, emphatisch, manchmal auch ans Sentimentale grenzend, stellt Walter darin die Fragen, die vor allem die jüngere Generation beschäftigte. Fragen nach einem Leben ausserhalb der eingespielten Rituale. Und er unterzieht die ökonomische und politische Macht einer Kritik, die von Begriffen wie Demokratie, Ökologie, Selbstverwaltung und Utopie geleitet ist.

Die Resonanz seiner Bücher verdankt sich auch der inständigen Suche nach einer Sprache, die solches vermitteln kann. "Literatur heute ist gesellschaftlich oppositionell nur insofern sie literarisch relevant ist, also nicht durch Gesinnung" wirkt, schrieb er 1972. Dem entspricht sein überzeugendes, originelles Experimentieren vor allem in den früheren Romanen. Als Mitte der siebziger Jahre verstärkt eine Politisierung einsetzte, kehrte Walter zu einfacheren erzählerischen Mitteln zurück: Literatur als "Ausdruck der Sehnsucht nach dem, was meine Wirklichkeit nicht ist".

Der innovative Verleger

Der opulente Familien- und Epochenroman "Zeit des Fasans" (1988) vermochte dann die hochgesteckten Erwartungen nicht ganz einzulösen. Zuviel wollte Walter wohl darin verarbeiten und synthetisieren. So überrascht es nicht, dass ihm zum Schluss das schmale Bändchen: "Die verlorene Geschichte" (1993) besser gelungen ist. Durch die Namensverwandtschaft des Helden, des Fremdenhassers Polo Ferro, mit den Hauptfiguren in "Der Stumme" und "Herr Tourel" hat er sein Werk abgerundet.

Eine Würdigung muss ohne Erwähnung seiner verlegerischen Tätigkeit aber unvollständig bleiben. Was Otto F. Walter bis 1966 im väterlichen Walter Verlag und danach bei Luchterhand geleistet hat, wirkt bis heute nach. Autoren wie Andersch, Heissenbüttel oder die Wiener Schule, die Literatur vom Jurasüdfuss (Bichsel, Steiner), Experimentelles wie der Nouveau roman und Moderne Klassik von Jahnn und Döblin hat er mit Erfolg verlegt. Und nicht zu vergessen sind auch die "Sammlung Luchterhand" sowie das Mitspracherecht für Autoren, das er in diesem Verlag einführte.

Das unauflösliche Zusammenwirken von literarischem und gesellschaftspolitischem Engagement, die Hellhörigkeit für aktuell drängende Themen, seine Zeitgenossenschaft: dies ist als Vermächtnis des Schriftstellers und Verlegers Otto F. Walter in Erinnerung geblieben.

Beat Mazenauer

 

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