"Nichts ist wie" - auch eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache

“Der Text und die Person. Er und sie, wie geht es ihnen?” Das unscheinbare Zitat aus Zsuszanna Gahses Bamberger Poetikvorlesungen von 1997 (“Wie geht es dem Text?”) zielt unvermittelt ins Zentrum ihrer Prosa. Text und Person hängen untrennbar aneiander. Der Text konstituiert im Buch und darüber hinaus in der Imagination der Lesenden einen Körper. Die Person wiederum ist Text, weil sie sprachlich-gestisch vermittelt ist und sich nur durch dieses Wissen habhaft machen lässt. Deshalb blieb das Bildnis von Ferdinand, dem Kellner, in Gahses “Kell-nerroman” (1996) vertrackt und dunkel. Im ruhigen Fluss der Prosasprache nahm es nur bruchstückhaft Gestalt an.
“Dabei ist es nicht gut, Dinge zu erfinden. Wozu auch noch Dinge erfinden”, fragte die Erzählern darin. Sie hat Ferdinand gekannt, wenn auch nur durch die Schale seines Schweigens hindurch. Eine solche Bekanntschaft mit ihrer Haupt-figur steht akzentuierter noch im Zentrum von Gahses neuem Roman “Nichts ist wie”, auch wenn die sprach--liche Gestaltwerdung darin ganz anders verläuft.
Rosa ist die Mutter, die von ihrer jüngeren Tochter “porträtiert”, das heisst mittels Sprache ausgelotet und verkörpert wird. Die Differenz zum “Kellnerroman” liegt in der Beredtheit der Titelfigur, wodurch dieser Roman leichter zugänglich wird. 1996 äusserte die Erzählerin, dass “das Erzählen mit einem Kampf verglichen werden kann”, “Nichts ist wie” erzählt einen Kampf.

Rosa flieht 1956 nach der Niederschlagung des Aufstands mit ihren zwei Töchtern aus Budapest in den Westen, beseelt vom Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit. Dieser Drang macht es vor allem der jüngeren Tochter, der Ich-Erzählerin, schwer, sich neben Rosa zu behaupten. Rosa schafft es stets, sich unüberhörbar verlauten zu lassen. Selbstbewusst wehrt sie sich gegen äussere Dreistigkeiten und Zwänge, auch die familiären. Derweil steht die Tochter, das “graue Huhn”, beeindruckt in ihrem Bann. Aber: “Die Tochter einer Mutter ist die jüngere Frau”, die der Mutter zunehmends ihr Altern vorhält. Darin ist unwillkürlich ihr Generationenkonlfikt angelegt.
Rosa gelingt das neue Leben nicht zuletzt deshalb, weil sie die Sprache, die in Wien und später in Kassel gesprochen wird, schon beherrscht und sich deshalb gleich ins volle Leben stürzen kann. Die Tochter dagegen muss diese Sprache erst noch ausbrüten. Anfänglich, tröstet sie Rosa, geht es allen wie dem Vogelküken, “das für einen Augenblick losfliegen will, aber nicht fliegen kann und gleich wieder zum Nest zurückkehrt, zur Muttersprache oder zum Schweigen”. Auf einmal aber wrd esfliegen können. Bis dahin aber vertieft die Sprache zusätzlichen den Graben zwischen Mutter und Tochter.
Sprache und Heimat - Sprache ist Heimat. Um das Thema der Zugehörigkeit kreist dieser Roman. Wer flieht, wird vergessen; und wer flieht, vergisst auch. Die Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle. Zsuzsanna Gahse liebt es, die Sprache zu reflektieren, Sprachbilder abzuschmecken und deutsche Wendungen mit ungarischen zu vergleichen.
Das erzählende Ich spiegelt ihre Mutter von allen Seiten, nur kurz blinzelnd manchmal, manchmal geduldig hinschauend. Erst im letzten Teil, als Rosa krank ins Spital eingeliefert wird, “durch und durch müde von dem Leben”, bleibt der Blick über weite Strecken ruhig auf der mutlos Gewordenen. Der Kampf zwischen Mutter und Tochter scheint ausgefochten, die Suche der Tochter nach ihrem eigenen Ich aber wird weiter gehen.
“Nichts ist wie” ist geprägt durch einen distanziert gelassenen, vor allem vortrefflich ryhthmisierten Erzählfluss, der auch da Recht behält, wo der Konflikt lauter zu werden droht. Im Unterschied zu Gahses früheren Büchern, behauptet sich in diesem ihrem jüngsten die autobiographisch unterfütterte Handlung stärker gegenüber dem Sprachsog. Das heisst, trotz kaleidoskopischem Handlungsgefüge verschliesst sich die Textur nicht einer inhaltlichen Lesart. Dies macht sie unangestrengter. Text und Person geht es im Gleichklang gut.

- Nichts ist wie oder Rosa kehrt nicht zurück. Roman. Europäische Verlagsanstalt , Hamburg 1999.

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"Wie geht es dem Text?" - Sprach-Räume

Schreiben heisst einritzen (lat. scribere) oder graben (gr. graphein), beschreibt etymologisch also eine räumliche Bewegung. Doch die Schrift respektive die aus ihr entstehenden Texte öffnen noch andere, weitere Räume: Texturen, Bilder, Filme, Gedankenflüge. In ihren Bamberger Vorlesungen hat sich die bei uns wohlbekannte Zsuzsanna Gahse mit diesen Räumen auseinandergesetzt. “Theoretisch können Wörter alles beschreiben, und wenn sie diese Fähigkeiten erreichen, bekommt alles, was sie berühren, eine wirkliche Gestalt.” Doch diese Sprach-Räum-lich-keit hat so ihre Tücken. Mit dem Bild des Labyrinths, aus dem nur Ariadne mit ihrem Faden herausführt, deutet es Gahse an. Allein wenn wir ihr blind nachfolgen, gewinnen wir auch keinen Eindruck von der Aus-dehnung des Labyrinths. Deshalb stellt sich die Frage, wie denn die lineare Schriftspur diese dritte Dimension der Wirklichkeit beschreiben kann? Und wie die vierte, die Zeit? Präpositionen und Vorsilben stehen ihr dafür zu Gebote, zudem Erzähltechniken, die Raum und Zeit unmittelbar in literarische Form über-setzen. Gertrude Steins Rose ist eine Rose ist eine Rose, von allen Sei-ten her betrachtet, dient Gahse als Beispiel. Oder ihr eigener Versuch eines “monochro-men” Textes analog zur Malerei: “Er geht er / geht / er / geht er / geht.”
Zsuzsanna Gahses Frage an den Text nach seinem Befinden, mündet in einen assoziativen Bummel durch Sprach-Raum-Bilder, eigene und solche von geliebten Vorbildern wie Gertrude Stein oder Miklós Mészöly. Dem Text geht es dabei “so und so”, also gut.

- Wie geht es dem Text. Bamberger Vorlesungen. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 1997.

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"Kellnerroman" - Der stille Ferdinand

“In Wirklichkeit besteht die Welt aus Hunderttausenden von Lokalen, Cafés und Restaurants, Stehkneipen und aus mindestens fünf-mal so vielen Kellnern.” Unter ihnen ist Ferdinand einer der Unscheinbarsten, Stillsten. Zusammen mit Iso arbeitet er in einem Restaurant namens “Schiff” in einer Stadt, die Luzern gleicht. Hier ist ihm die Erzählerin begegnet. Zufällig, denn sie ist ebensowenig wie er eine Einheimische. Ferdinand “gehört zu denen, die nicht immer Kellner waren”, über sein Vor-leben aber schweigt er sich aus. Er vergisst es. Im Grunde erzählt er nur so viel von sich, wie es schweigend möglich ist. Ausnahms-weise klingt das Früher dennoch an. München etwa, oder Lyon. Einmal will sogar Ferdinand lauthals von Bordeaux erzählen, und von Moskau, wo er aufgewach-sen sei. Doch dann zieht er die Geschichte gleich selbst in Zwei-fel. So bleibt unergründlich, ob sie nur ausgeborgt ist, oder ob sie ihm zu nahe geht, weil seine Eltern zu den “Mil-lionen gequäl-ter Juden” gehören, die im Lager umkamen. “Wir wol-len nicht zu den Opfern gezählt werden”, zitiert er später einmal eine fremde Stimme, “denn Opfer zu sein, ist verächtlich.”
Dienen und bedient werden. Kellner und Huren gelten als älteste Dienstleistun-gs-be-rufe, anrüchig zwar, aber ehrlich. “Die Frage ist, wer sich leichter schuldig macht, der nur einem Herrn dient, oder der für alle da ist.” Kell-ner sind Heimatlose, die sich mit Dienen das Leben verdienen.
Die Erfahrung dieser Fremdheit teilt die Erzählerin mit ihm. Leitmotive wie Spiegel, Augen, DialektsSprache sowie wiederkehrende Episoden und Figuren halten ihre Erzählbruchstücke zusammen und betonen zugleich das Flüchtige in ihnen. Insbesondere der Spiegel ist Metapher für das Fremd-sein, weil er einem die eigene Gestalt vorhält, die wir nur gespiegelt, nie wirklich sehen können. Die Augen stehen für die Wachheit der Sinne und die Dialektfärbung der Einheimischen ist Grad-mes-ser für Differenz oder Anpassung.
Dem entsprechend hat die in Budapest gebürtige und heute in der Schweiz lebende Zsuzsanna Gahse ihrem Kellnerroman ein unruhiges, stetes sich Entwerfen einbeschrie--ben. Ein Roman im Sinne von Hand-lung und Spannung ist ihr Buch nicht, eher eine kaleidoskopische Betrachtung mit Fer--dinand im Zentrum. Genau genommen bestünde ihr Text nur aus wenigen Seiten, folg-ten ihm nicht eine Reihe von numerierten Anmerkungen, die wieder-um auf andere Anmerkun-gen verweisen. Dergestalt schält sich diese bruchstückhafte Prosa aus sich selbst heraus. Ihre Bewegung spiegelt formal das wech-selhafte, etappen-weise Leben des Kell-ners Ferdinand, der sich jeweils mittels klein-sten Ord-nungs-ritua-len die momentane Sesshaftigkeit zu beweisen versucht. Ähnlich wie Cortazars “Ray-uela”-Buch lässt sich der “Kellnerro-man” auf verschiedene Weise lesen: fortlaufend, episodisch oder jeweils von der Anmerkungs-ziffer zur entsprechenden Anmer-kung hüp-fend. Im Gegensatz zu solcher Beweglichkeit wirkt die Sprache ruhig, schlicht und wohl gesetzt. Gahse macht nicht komplizierte Worte, eher vereinfacht sie hin und wieder zu sehr. Vor allem aber überlässt sie sich ganz dem gemächlichen Fluss des konzentrierten Beo-bach-tens und schweigsamen Erzählens.

- Kellnerroman. Prosa. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1996.

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Oh, Roman

Süsse Versuchung

Eine Frau entdeckt am Ende eines langen Krankenhausflurs eine alte Liebe wieder. Zsuzsanna Gahse umgarnt in "Oh, Roman" ihre Erzählerin mit zarten Erinnerungsfäden.
Bereits der Titel hält eine Überraschung bereit. "Oh, Roman" lässt sich zweifach betonen. Román oder Róman, das ist hier die Frage. Zsuzsanna Gahses Buch erzählt einen Roman um Roman; im doppeldeutigen Leitwort steckt obendrein ein Kern romantischer Universalpoesie.
Die Erzählerin weilt im Krankenhaus, um den kürzlich operierten Goldschmied Friedrich zu betreuen. Weil er ans Bett gefesselt ist, protokolliert sie seine Ideen für neue Kollektionen und erledigt seine Korrespondenz. In einer Ruhepause erscheint ihr am Ende eines langen Flurs eine bekannte Gestalt: Roman.
Umflutet von einer sommergelben Aura bringt er Licht in die sterile Spitalatmosphäre und erregt die hilfreiche Besucherin. Aus ihrem Gedächtnis beginnen sich Bilder und Situationen herauszuschälen, die Roman mit der Erzählerin zeigen. Sie kennen sich schon seit ihrer Schulzeit, doch vor 12 Jahren ist die Beziehung zwischen ihnen abrupt abgebrochen.
"Was kann man überhaupt wirklich vergessen, wahrscheinlich nichts, gar nichts, alles ist nur versteckt, und dann fallen dicke Bündel aus dem Hinterkopf ... wo sie vorher in ein Fach verschlossen waren." Roman aber erkennt die Erzählerin nicht. Oder will er nicht? Ist die Geschichte für ihn abgeschlossen?
Aus vergesslichen und erinnernden Erzählfäden flicht Zsuzsanna Gahse ein feines Gewebe, das der Andeutung mehr Gewicht zubilligt als der Aussprache. Die Erzählerin kann sich der Aura ihres Romans nicht entziehen, die Zeit, ihn "erfolgreich zu vergessen, ist vertan".

Beat Mazenauer

 

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