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Hommage à Otto Marchi (1942 - 2004)

 

En bref et en français

Il y a tout juste un an, le 26 décembre 2004, l'écrivain Lucernois Otto Marchi disparaissait à Khao Lak, emporté par le Tsunami. Cette mort semblait accomplir d'une manière presque tragicomique une vision de Marchi, racontée dans l'un de ses derniers textes, inédit, où un auteur parvient à disparaître en faisant mourir son héros. Otto Marchi laisse derrière lui une oeuvre brève publiée entre 1971 et 1994, qui explore de manière conséquente la frontière entre récit, biographie et historiographie. L'influence d'Otto Marchi dépasse ses quelques livres dans la mesure où il a enseigné de nombreuses années l'usage attentif de la langue à la Hochschule für Gestaltung und Kunst de Lucerne, ainsi qu'à des journalistes.

Beat Mazenauer

 

Ein Chronist der Selbstzweifel und Lebensängste

Text und Autorschaft sind zwei ungleiche Dinge, das ist bekannt. Ein Ich, das ein Autor niederschreibt, ist eine literarische Erfindung, die nie identisch ist mit dem schreibenden Ich. Im Bewusstsein dessen lassen wir uns daher auch nicht mehr von Autobiographien täuschen.
Umso mehr frappieren mitunter Sätze, die bei nachträglicher Lektüre so etwas wie visionäre Qualität erhalten, indem sie im Rückblick das künftige Leben oder die Person des Autors zu beleuchten scheinen. Eine Passage dieser Art findet sich in Otto Marchis Debütroman "Rückfälle" (1978): "Die Brecher können über der Schiffsbrücke zusammenschlagen, das macht mir gar nichts aus", steht da auf Seite 124: "Auch nicht tausend Meilen vom Ufer entfernt. Irgendein Stück Holz wird sich immer finden, an dem man sich festklammern kann, bis Hilfe naht." Die kurze Passage klingt wie eine höhnische Vorschau auf seinen tragischen Tod 26 Jahre später.
Vorschau und Rückfall, Marchi veranschaulicht dieses Spannungsverhältnis im ersten Roman am Exempel einer Figur, die sich neu entwerfen will, doch in alte Muster zurückfällt, weil sie nur darin den lebensnotwendigen Halt findet. "Wer nachdenkt, zieht Schlüsse, aus denen Entschlüsse werden, die zum Handeln zwingen. Handeln heisst für mich verändern", motiviert sich der Ich-Erzähler zwar selbst, um seine Stellung in der Werbeabteilung eines Generalunternehmers zu kündigen. Doch bereits die grossartig eintönige Eingangspassage des Buches macht die Vergeblichkeit seines Bemühens spürbar. Marchis Erzähler ist kein Revolutionär, von den Krakelern hält er nichts, weil er Veränderer und zugleich Realist ist, mit dem Effekt, dass sein Lebensentschluss ohne rechtes Ziel bleibt. Zwar schreibt er Tagebuch, um Bindungsangst, hypochondrische Symptome und aufkeimende Verzweiflung schonungslos zu analysieren, doch handlungsfähig wird er dadurch nicht. Erst der Entschluss, wieder in seinen Beruf einzusteigen, lindert die Verzagtheit. "Wir nehmen Rücksicht. Wir wissen, dass es nicht ohne Rücksicht geht, ohne Verständnis füreinander."
Marchis Generationenporträt entzaubert den 68er-Mythos mit lakonischer Distanziertheit. Dass es ihm zu jener Zeit selst aber ernst war mit der Forderung nach Aufklärung und Veränderung, bewies schon 1971 seine "Schweizer Geschichte für Ketzer", eine ebenso ernste wie vergnügliche Entzauberung der helvetischen Geschichtsmythen. Das Buch erregte heftigen Widerspruch nicht so sehr, weil es neues Material vorlegte, sondern weil es die alten Historien in eine wunderbar leichte, zuweilen spöttisch klingende Erzählung einkleidete. Das Buch ist ein Glanzstück der historischen Literatur. Marchi entwickelt darin eine sehr eigenwillige Darstellungsform, die sich zwar literarischer Mittel bedient, dennoch aber historischer Genauigkeit verpflichtet ist. Gewitzt überbrückt er so die Kluft zwischen hermetischer Wissenschaft und populärer Mythenerzählung, um sich vor allem vom verbissenenen, ja oft gehässigen Heimatdiskurs abzugrenzen. Auch wenn Marchi am Realitätsgehalt der Schweizer Geschichte rüttelt, die geschichtsbildende Kraft des Tellen-Mythos zweifelt er aber nicht an.
12 Jahre später nahm er im Roman "Sehschule" die Frage nach Sinn und Ziel der Geschichtsforschung wieder auf. Der Historiker Georg Anderhalden wagt darauf keine Antwort zu geben, stattdessen verordnet er sich einen Wahrnehmungsurlaub, um die Aufmerksamkeit für die Winzigkeiten des Alltags zu schärfen. Mitbetroffen ist seine historische Optik. Anderhalden beginnt das familiäre Erbe zu untersuchen, doch erfolglos: Man kann nicht Mikroskop sein und sich selbst unter die Linse setzen. Es lässt sich zwar alles, was einem begegnet, objektiv beschreiben, doch verstehen lässt es sich so nicht - es sei denn, das eigene Ich wird als Teil der Geschichte begriffen. So präzis und detailscharf diese Beschreibungsprosa gearbeitet ist, so temperamentlos mutet sie im Effekt an. Otto Marchi hat sich konsequent ans Ende eines Wegs geschrieben, der nicht mehr weiterführte.
Als in den 80er Jahren der literarische Zeitgeist sich verstärkt wieder dem Erzählerischen zuneigte, folgte er der Strömung und überraschte 1989 mit einem der beschwingtesten Romane jener Jahre: "Landolts Rezept". Landolt hat ein gravierendes "Weiberproblem", das er zuerst verheimlichen, dann unter blumigen Mogeleien zudecken, schliesslich mit einem "idiotischen Fest" offensiv beheben will, indem er (wie weiland schon Gottfried Kellers Landvogt von Greifensee) seine alten Geliebten einlädt, um sie ein letztes Mal zu bekochen. Doch der "Hornissenschwarm der Weiber" zieht seine patriarchale Herrlichkeit dabei kräftig ins Lächerliche. Das Fest ist ein Fiasko, aber heilsam insofern, als Landolt die Untauglichkeit seiner alten Rezepte einsieht. Mit Hanna, deren gebieterisches "Erzähl!" ihn peinigt, könnte so vielleicht ein Neuanfang gelingen.
"Landolts Rezept" geht andere Wege als die ersten beiden Romane, sein erzählerischer Charme rückt das Buch eher an die Seite der "Schweizer Geschichte". Marchi treibt darin geradezu Wucher mit rhythmischen, klangmalerischen und metaphorischen Elementen, um den Notstand Landolts adäquat zu beschreiben und nebenbei seine sprachliche Meisterschaft zu beweisen. Die wunderbar leichte Frivolität ist vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass das Leitmotiv Schule darin nur am Rand vorkommt. Umso kräftiger forderte es fünf Jahre später in "Soviel ihr wollt" (1994) wieder Tribut. Wie Marchis frühere Helden ist auch der Schriftsteller Konrad eine gescheiterte Existenz, die von Selbstzweifeln und Lebensängsten heimgesucht wird. Ein Schreibauftrag weckt böse Erinnerungen an die Schulzeit - verkörpert in der Gestalt des Pädagogen und Priesters Brandstätter. Wie Konrad bei seinen Recherchen aber entdeckt, dass dieser alte Peiniger ein skandalöses Verhältnis mit einer Künstlerin hatte, wird sein Rachedurst geweckt.
In "Soviel ihr wollt" finden Marchis literarische Leitmotive aufs Schönste zusammen: Schule, Lebenszweifel und Geschichte. Doch der Roman besitzt noch zusätzliche Qualität. Hinter der Figur Brandstätters verbirgt sich der Schriftsteller und Priester Josef Vital Kopp (1906-66), dessen historisch beglaubigte Affäre mit der Stanser Künstlerin Annemarie von Matt (1905-67) Marchi aufarbeitet. So schlägt "Soviel ihr wollt" den Bogen zurück zu den Anfängen, indem Marchi abermals Dichtung und Wahrheit miteinander engführt, nun jedoch unter literarischem Primat. Wenn das Buch nicht ganz überzeugt, so weil der Autor sich stilistisch weder für die protokollarische Präzision der "Sehschule" noch für die sprachverliebte Frivolität in "Landolts Rezept" entscheiden kann. Diese Unschlüssigkeit gibt zur leisen Vermutung Anlass, dass es Otto Marchi leichter fiel, die alten Mythen ironisch kritisch zu hinterfragen als die Repräsentanten der katholischen Erziehung, die ihm vielleicht selbst einst Zweifel und Ängste eingeflösst hatten. Dies wirft einen autobiographischen Schatten auf sein Werk. Vielleicht liegt darin der wahre Kern seiner Sympathie für die gescheiterten Helden.

Beat Mazenauer


Werke

Schweizer Geschichte für Ketzer oder die wunderbare Entsehung der Eidgenossenschaft, Zürich, Praeger 1971. Auch: Bern, Zytglogge 1981.
 
Rückfälle. Roman Frankfurt/M., S. Fischer 1978.
 
Sehschule. Roman, Frankfurt/M., S. Fischer 1983.
 
Landolts Rezept. Roman. Frankfurt/M., Franfkurter Verlagsanstalt 1989.
 

Soviel ihr wollt. Roman. Zürich, Nagel & Kimche 1994.

 

Page créée le 12.01.06
Dernière mise à jour le12.01.06

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